einzigartig. vielfältig.

«The Final Problem» als Glücksfall.

FIKTION – Unter die Lupe genommen: Sherlock Holmes im Haslital.
Haslital
Er weiss Bescheid. Und das schon nach einigen Sekunden. Unser Genie im Tweedanzug. «How are you?» fragt Sherlock Holmes und schüttelt seinem Gegenüber die Hand. Sie treffen zum ersten Mal aufeinander. «You have been in Afghanistan, I perceive.» Sein Gesprächspartner ist verblüfft. Der pragmatische Dr. Watson sucht in «A Study in Scarlet» nur ein Zimmer zur Untermiete. Und jetzt eröffnet dieser Sherlock Holmes auf diese Art das Gespräch. Ohne ihn zu kennen. Verblüffend – denn die Annahme stimmt. Er kommt gerade aus Afghanistan. Volltreffer.

Zugegeben: Überrascht sind wir nicht wirklich.

Natürlich rückblickend gesprochen. Er geht ja immer betont rational und analytisch vor. Unser Sherlock Holmes. Wir kennen ihn – auch ohne die Bücher gelesen zu haben. Ganz bestimmt. Da braucht es keine weiteren Erklärungen. Denn mehr als 200 Filme, die von rund 70 verschiedenen Schauspielern gespielt werden, handeln von dem distinguierten Detektiv. Nicht schlecht. Oder mit anderen Worten: Sherlock Holmes erscheint in mehr Filmen als jede andere fiktionale Figur. Wir erkennen ihn in Theaterstücken, Musicals, Hörspielen, TV-Serien, Comics, Cartoons und sogar in einem Ballett. Und ja, all die Pastiches über Holmes und Watson dürfen wir auch nicht vergessen. Logisch also, dass ihn das Guinness Buch der Rekorde als den am meisten porträtierten Filmcharakter der Geschichte listet.

Arthur Conan Doyle

56 Novellen und drei Romane über Holmes und Watson folgen auf «A Study in Scarlet». Nicht nötig zu erwähnen, dass sie ihren Schöpfer Sir Arthur Ignatius Conan Doyle (1859-1930) zu einem der erfolgreichsten Autoren seiner Zeit machen. Die Geschichten schreibt er zwischen 1886 und 1927.

Zahlen und Fakten
25
Pfund erhält Conan Doyle von «Ward, Lock & Co.» für das Copyright des Manuskripts «A Study in Scarlet».

Sherlock Holmes hat wirklich gelebt! Echt jetzt?

Zumindest denken das 58 Prozent der Briten bei einer Umfrage des UKTV Gold aus dem Jahr 2008. Dieser Meisterdetektiv ist ja auch omnipräsent. Das kann uns schon mal verwirren. Winston Churchill hingegen kommt weniger gut hinweg: 23 Prozent der Befragten gehen davon aus, dass der britische Staatsmann eine fiktionale Figur gewesen ist. Na ja, da geben wir jetzt keinen Kommentar über das englische Bildungssystem ab, sondern loben vielmehr die Art und Weise, wie Conan Doyle Leben in seine Geschichten einhauchen konnte.

Sherlock Holmes am Reichenbachfall

«The Final Problem»

…oder wieso Meiringen in den Herzen der meisten Holmesianer einen besonderen Platz einnimmt.

Dezember 1893. Es herrscht Staatstrauer.

Enttäuschte Leser in London binden sich schwarze Schleifen um den Oberarm oder knüpfen schwarze Krawatten um. Über 20 000 Kunden kündigen das Abonnement von «The Strand» – dem Magazin, in dem die Sherlock Holmes Geschichten erscheinen. Ein Leser schreibt sogar direkt an Conan Doyle: «You Brute!». Der Autor kann zweifelsohne froh sein, dass es zu dieser Zeit noch keine sozialen Medien gibt. Was hätte das für einen Shitstorm ausgelöst. Dislike. Daumen nach unten. Und klar: Queen Victoria ist auch «not amused». Doch was ist passiert?

Conan Dolye lässt Sherlock Holmes sterben.
Illustration von Sydney Paget: The Death of Sherlock Holmes

Vor der Verantwortung gedrückt. Doch der Plan geht schief.

«The Final Problem», die letzte Geschichte in der Anthologie «The Memoirs of Sherlock Holmes», erscheint in der Dezember-Ausgabe von «The Strand». Das tönt doch schon mal gut. Aber eben: Am Anfang der Geschichte posiert eine Illustration von Sherlock Holmes und Professor Moriarty. Beide verstrickt in eine tödliche Umarmung beim Reichenbachfall – mit der Überschrift: «The Death of Sherlock Holmes». Ok. Zugegeben. Das ist unerwartet. Mehr als ein ungläubiges «Whaaat?» wäre bei uns wohl auch nicht mehr rausgekommen.

Sidney Paget (1860-1908) illustriert die Bilder von Sherlock Holmes in «The Strand». Vorbild soll angeblich sein jüngerer Bruder gewesen sein. Das bestreitet aber sein älterer Bruder vehement. Nun denn, vielleicht ist ja da auch ein bisschen Eifersucht im Spiel. Wie dem auch sei, die karierte Schirmmütze (Deerstalker), die Holmes auf zahlreichen Bildern trägt, geht auf Pagets Vorliebe für eben diese Mütze zurück. Sieht ja auch elegant aus. Conan Doyle hingegen beschreibt sie nur einmal in «Silver Blaze» als «an ear flapped traveling cap». Der Rest stammt vom britischen Illustrator.

Sydney Paget

Sidney Paget fertigt insgesamt 356 Zeichnungen für 37 Kurzgeschichten und den Roman «The Hound of the Baskervilles» an.

Da stellt sich uns natürlich die Frage nach dem Wieso?

Die Antwort ist ziemlich einfach: Conan Doyle möchte lieber historische Romane und seriösere Abhandlungen schreiben. Doch dieser Sherlock nimmt schlicht zu viel Zeit in Anspruch, da jede einzelne Geschichte eine so klare und originelle Handlung wie ein ganzes Buch braucht. Aber eben: Die Leserschaft will bedingungslos eine neue Serie. Da hilft nur eine List. Conan Doyle verlangt kurzerhand eine Unsumme (Tausend Pfund!) vom «The Strand» für die designierte Serie «The Memoirs of Sherlock Holmes». Natürlich in der Hoffnung, dass die Verantwortlichen absagen. Doch Pech gehabt. Das Magazin zahlt den geforderten Betrag – ohne zu zögern. Glück im Unglück. Ergo ist die logische Konsequenz: Der Tod des Meisterdetektivs. Es gibt schlicht keinen anderen Ausweg. Sherlock Holmes muss weg – und zwar für immer.

Arthur Conan Doyle,
über seine Entscheidung, Sherlock Holmes sterben zu lassen.

«If I had not killed him, he certainly would have killed me.»

Auf die Idee, wie er das Leben seiner Kultfigur beenden sollte, kommt Conan Doyle in Meiringen.

Im August 1893 ist er mit seiner an Tuberkulose erkrankten Frau zur Kur dort. Nach einem Besuch des Reichenbachfalls geht alles ziemlich schnell. Die Inspiration fliegt ihm schlicht zu. Der «Napoleon des Verbrechens» wird ins Leben gerufen. Ein machiavellistisches, kriminelles Superhirn. Professor James Moriarty. Holmes’ Alter Ego. Sie werden am Ende von «The Final Problem» am Reichenbachfall kämpfen und in die Tiefe stürzen. Aus. Ende. Vorbei. Problem gelöst.

Hotel zum Wilden Mann

Conan Doyle steigt im «Hotel zum Wilden Mann», dem heutigen «Parkhotel du Sauvage» ab. 1893 heisst der Besitzer Alexander Seiler – eine mögliche Inspiration für Peter Seiler aus «The Final Problem»?

Meiringen 1985
Englische Kirche

«Where it is always 1891»

Damit wir kein Durcheinander mit den Jahreszahlen haben: Conan Doyle besucht Meringen 1893. «The Final Problem» spielt aber zwei Jahre früher: 1891. Einfach so, damit wir Realität und Fiktion auseinanderhalten können. Denn nochmals zur Erinnerung: Conan Doyle hat ja wirklich gelebt, Sherlock Holmes hingegen nicht.
Wie auch immer, Fiktion hin oder her. Für viele Holmesianer ist es in Meiringen immer noch 1891. Und daran wird sich auch nichts ändern. Bestimmt nicht. Denn hier, an diesem schicksalhaften 4. Mai 1891, bricht für sie eine Welt zusammen.

Zahlen und Fakten
2853
Menschen leben 1891 in Meiringen. Etwas mehr als die Hälfte der heutigen Bevölkerung.

«I don’t always die. But when I do, I don’t.»

Der temporäre Zusammenbruch einer fiktionalen Welt wird zum Glücksfall für Meiringen.

Tatort Reichenbachfall.

Da steht er nun. Sherlock Holmes trifft auf Professor Moriarty. Und was macht er? Klar, er schreibt einen letzten Brief an seinen treuen Helfer Dr. John Watson. Hinter ihnen donnert der Reichenbachfall in die Tiefe. Danach ist Schluss. Die Geschichte kennen wir. Sie werden nie gefunden.
Sherlock Holmes kommt schlicht ein paar Jahre zu früh – denn die Schienen der Nostalgiebahn werden erst 1899 gelegt. Sein Erzfeind nützt das natürlich voll aus und lockt Dr. Watson durch eine List zurück nach Meiringen. Der arme Kerl muss natürlich den ganzen Weg laufen. Ganz zur Freude von Professor Moriarty – denn so kann er sich nun ganz ungestört unter vier Augen mit Sherlock Holmes unterhalten.

Reichennbachfall mit Absturzstelle

Es ist übrigens der oberste der drei Wasserfälle, der Conan Doyle mit seinen 120 Metern Höhe als Schauplatz des legendären Kampfes dient. Ein Stern markiert den Platz des Kampfes. Hingegen ist der Reichenbachfall in der TV-Serie mit Benedict Cumberbatch ein Gemälde, bei dessen Wiederbeschaffung Sherlock Holmes federführend ist.

Zahlen und Fakten
714
Meter beträgt die Strecke der Reichenbachbahn. Sie überwindet 244 Höhenmeter und benötigt dazu eine Fahrzeit von 7 Minuten.

Dr. John Watson,
über den Reichenbachfall, aus «The Final Problem».

«It is indeed, a fearful place. The torrent, swollen by the melting snow, plunges into a tremendous abyss, from which the spray rolls up like the smoke from a burning house. (…) The long sweep of green water roaring forever down, and the thick flickering curtain of spray hissing forever upwards, turn a man giddy with their constant whirl and clamour.»
Dorfstrasse Meiringen
Hauptstrasse Meiringen

Annus Horribilis 1891. Rund ein halbes Jahr nach dem vermeintlichen Tod von Sherlock Holmes wird Meiringen zum zweiten Mal Schauplatz einer Katastrophe. Aber leider nicht in der fiktiven Welt.

Am 25. Oktober um 7.30 Uhr bricht in einem Haus oberhalb der Bierbrauerei im Quartier Stein Feuer aus. Der älteste Haslitaler, der Föhn, lässt sich nicht zweimal bitten und legt die heutigen Quartiere Stein, Meyringen, Eisenbolgen und Hausen in Asche. Wie wäre wohl Sherlock Holmes gestorben, wenn Conan Doyle ein paar Monate später durch Meiringen spaziert wäre?
Ein Tag danach wird die Verwüstung erst klar:

Brand von 1891
Brand von 1891
Brand von 1891
Brand von 1891
Zahlen und Fakten
183
Gebäude sind innerhalb von zwei Stunden eingeäschert und 854 Personen obdachlos. Ebenso fordert das Feuer einen Toten.

Perfektes Duo: Haslital und Sherlock Holmes

Er ist zurückgekehrt und will in Meiringen bleiben.

Zurück in der Gegenwart müssen wir nur die Augen aufmachen. Das reicht schon. Dann sehen wir ihn. An jeder Ecke. Überall. Sherlock Holmes mit seinem Deerstalker und der Pfeife. Einfach unverkennbar. Auch die absoluten Detektivamateure unter uns sollten mindestens am «Conan Doyle Square» die lebensgrosse Bronzestatue sehen – hoffentlich auch ohne Lupe.

Logo_Sherlock Holmes Meiringen
Sherlock Holmes Bike
Reichenbachbahn und Wasserfall
Frutal Meiringen
Sherlock Lounge Meiringen
Sherlock Holmes Fondue
Krimispass Meiringen

Eine geschlossene, fiktive Welt wird in einer Englischen Kirche real. Willkommen an der Baker Street 221b – in Meiringen.

Da wundern wir uns nicht, wieso die Erzählungen von Conan Doyle der Tradition des Realismus zugeordnet werden. Die Beschreibungen sind so ausführlich, dass glatt im Untergeschoss der Englischen Kirche das Arbeitszimmer von Holmes und Watson vorzufinden ist.
Das Sherlock Holmes Museum präsentiert wertvolle Original-Gegenstände, liefert Hintergrundinformationen und gibt interessante Einblicke in die Kriminal- und Polizeigeschichte der Neunzigerjahre des 19. Jahrhunderts in London. Da soll noch jemand behaupten, dass dieser Detektiv nicht gelebt hat.

Museumseingang
Museum_Zimmer an der Baker Stree 221b

1991 ist es soweit. Sherlock Holmes bekommt sein Museum. Unter dem Patronat der «Sherlock Holmes Society of London» und der Dame Jean Conan Doyle wird in der Krypta der Englischen Kirche das Sherlock Holmes Museum eröffnet. Wann? Natürlich an seinem hundertsten Todestag. Am 4. Mai.

Stereotyp eines Privatdetektivs und Symbol des analytisch-rationalen Denkens.

Conan Dolye ist zwar nicht der Erfinder der Detektiv-Geschichten (diese Ehre geht an Edgar Allan Poe), doch seine Figur ist realer als manch eine Person, die wirklich gelebt hat. Eine Figur, die den Tod bezwungen hat und wieder zurückgekehrt ist. Dies wird jedes Jahr am 4. Mai in Meringen überaus deutlich.

Meringen von oben

Die Methode der Deduktion wendet Sherlock Holmes gemäss Conan Doyle bei seinen Schlussfolgerungen an. Die kennen wir doch. Das ist der «Schluss vom Allgemeinen auf das Besondere». Dies wäre natürlich auch eine Herangehensweise, um das Haslital zu erkunden. Denn die Gegend bietet «im Allgemeinen» schon sehr viel, doch wenn wir uns bis «zum Besonderen» vorarbeiten, entdecken wir eine wunderbare, fiktive Welt mitten in der realen Bergewelt des Haslitals.

Der Fall, der keiner war.

Aber eben. Alles auf Anfang. Wie wusste er das mit Afghanistan? «Elementary, my dear Watson.»

Weiterführende Informationen

Sherlock Holmes Moments

Mehr Informationen

Fotos: Jungfrau Region; Otto Kehrli
Story: André Wellig
Sommer 2019

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