Auf dem Weg hin – oder spätestens auf dem Weg zurück – zum Jungfraujoch-Top of Europe treffen wir auf das Lauberhorndorf. Für Liebhaber der schnellen Disziplinen im Skisport ist dieser Ortsname sowieso mit eigenen Erinnerungen gekoppelt. Lassen wir den Blick über die Talsohle schweifen, sehen wir die höchstgelegene Siedlung. Ein Ort, an dem James Bond für Action sorgte. Schweift unser Blick nach unten treffen wir auf das heutige Rivendell, dem westlichen Tor zur Jungfrau Region. Dort haben keine Geringeren als J.R.R. Tolkien und Johann Wolfgang v. Goethe ihre Spuren hinterlassen.
Den Kühen gefällt die Aussicht. Heutzutage reisen Touristen aus aller Welt ins Lauterbrunnental, um die steilen Felswände und die zahlreichen Wasserflälle hautnah zu erleben.
Verhältnismässig am besten unterrichtet sind wir über die Lötscher von Lauterbrunnen.
Die Völkerwanderungen aus dem Wallis sind uns erhalten geblieben - und zwar immer dann, wenn der FC Sion um den Cupsieg in Bern spielt. Dann kommen die Wal(li)ser in Scharen in den Kanton Bern. Aber auch an Feiertagen besiedeln die Walliser gerne für einen Tag das Berner Oberland.
Anhand der Pfarrbücher können wir ausrechnen, wie viele Personen in einer Pfarrei geboren und gestorben sind. Im Lötschental, genauer gesagt in Kippel, sind gemäss den Büchern von 1714 bis 1914 rund 1200 Personen mehr geboren als gestorben. Merkwürdig. Daraus schliessen wir, dass die Bewohner in diesen 200 Jahren einfach abgewandert sind – und zwar vorwiegend ins Lauterbrunntal im Berner Oberland.
Die Walser besiedelten im ausgehenden Hochmittelalter aus dem heutigen Kanton Wallis heraus das Lauterbrunnental. Einen Übergang fanden die Walser bei der sogenannten Lötschenlücke.
Die Walser sollen Höhenterrassen und Talgründe bevorzugen – da haben sie vermutlich nicht schlecht gestaunt, als sie die Lötschenlücke passierten und ins Lauterbrunnental gekommen sind: Das Tal erfüllte die Anforderungen bestens...
Die Eigenheit beinahe aller Walsersiedlungen ist ihre geographische Lage auf höchsten Höhenterrassen und in hintersten Talgebieten, die durch Schluchten, unwegsame Talriegel oder mühsame Steilanstiege von den unteren Besiedelungsgebieten abgeschlossen sind. Welcher Ort würde da wohl besser passen als Mürren?
Früher war der Talgrund ganz spärlich besiedelt. Wohl nur diejenigen Stellen des Trogtales, die vor Überschwemmungen geschützt waren. Die sommerlichen Hochwasser der Lütschine hatten nämlich beinahe die ganze Talsohle fest im Griff. Schön im Pendellauf durchbrauste die Lütschine damals den Grund.
Fern ab der Zivilisation in der Weltabgeschiedenheit des hintersten Talgrundes oder auf Höhenterrassen lebten die Bergleute als ausschliessliche Selbstversorger ihr eigenes Leben.
Ein lebendiger Beweis dafür hat sich bis in unsere Zeit erhalten. Die Bewohner des Talgrundes in Lauterbrunnen waren nicht so zahlreich, dass sie eine eigene «Bäuert» zu bilden vermochten. Sie gehören noch heute, nach Familien, zu den drei «Bäuerten» Wengen, Mürren oder Gimmelwald, wo jede an ihrem Ort, den sie einst verlassen hatte, die Bäuertrechte geniesst.
Mit der Verbesserung der Wegverhältnisse an den Hängen und im Talboden und der Eindämmung der Lütschine wurden dann der vordere und der hintere Grund stärker besiedelt.
Es hat schon etwas Mystisches dieses Lauterbrunnen - besonders wenn es solche Nebelschwaden umhüllen. Ähnlich interessant wie das Tal selber ist auch die Frage nach dem Dorf- und Talschaftsnamen: Es gibt nicht weniger als vier Deutungen.
Die beiden Vorsilben («lauter») können wir in der Mundart wie auch im Hochdeutschen von «hell» oder «klar» deuten.
Wir können «lauter» aber auch mit den Adverbien «nichts als», «ausschliesslich» oder «lediglich» in Verbindung bringen.
«Z’vordrist uf der hejen Fluoh, da isch luuter», so ein Ausspruch in der örtlichen Mundart. Hier bekommt «luuter» die Bedeutung von schwindelerregender Tiefe. Klar, nicht wenige Bäche stürzen sich vom «luuterren» Fluhrand.
So schön die ersten drei Erklärungen aber auch klingen mögen, sind diese doch: Falsch. Schade, diese hätten doch so schön gepasst.
Die Bäche, die zusammen den Luterbach bilden, haben ihren Ursprung in auffallend «lauteren» Quellen. Diese entspringen unmittelbar nahe aneinander und ihr Wasser ist (wer hätte es gedacht) immer klar – auch wenn bei Schneeschmelze oder Gewitter das Wasser der anderen Bäche trüb fliesst.
Orte oder Stellen, an denen Wasser entnommen wurde, zeichneten sich durch ihre ständige Klarheit und «Lauterkeit» aus. Zwingend mussten diese von benachbarten Quellen unterschieden werden. Um diese Unterscheidung deutlich zu machen, wurde ein heute geläufiger Name angewendet: Brunnen.
So ist es auch nicht verwunderlich, dass rund um solche «klaren Brunnen» Höfe entstanden sind, die dann zum Kern einer Siedlung wurden. In unserem Fall war dies wohl die Ey und die erhöht gelegenen Wytimatten.
Analog der Namensgebung in den alemannischen Gebieten kann es sich bei der Talschaftsbezeichnung nur um diese «luuterren Brunnen» handeln. Der Name wurde gewöhnlich erst auf die Siedlung und dann auf das ganze Tal übertragen. Was beweist, dass das Lauterbrunnental ein Ort für ständige, gute Wasserversorgung war (und natürlich immer noch ist).
Die zwei letzten Silben des Tal- und Ortsnamens («brunnen») treten mannigfaltig auf - aber einzig im Sinne von «Quelle». Dies bestätigen zum Beispiel «Das Brunni» in Wengen oder der «Schmadribrunnen» hoch oben zwischen den Moränen des Breithorn- und Schmadrigletschers.
Damit hätten wir mal die Sache mit dem Talschaftsnamen geklärt. Der Ortsname heisst in alten Urkunden «in claro fonte», was so viel bedeutet wie «zu der klaren Quelle» oder «zu den hellen Quellen». Fons (fontis, Nominativ, Einzahl) wird im klassischen Latein mit Quelle oder Ursprung übersetzt. Das Latein in den Urkunden hat aber wenig mit dem klassischen Latein zu tun und ist vielmehr eine Übersetzung der bestehenden deutschen Ausdrücke.
Der Name «in claro fonte» wird für Lauterbrunnen unseres Wissens zum ersten Mal im zweiten Band der «Fontes rerum bernensium» am 2. Oktober 1240 gebraucht. Von ortskundigen Übersetzern wurde er erst als «Hellbrunn» und anfangs des 19. Jahrhunderts sogar als «Schönbrunn» wiedergegeben.
Im Interlaken-Dokumentenbuch 110a aus dem 17. Jahrhundert ist der Name (wie auch in früheren Urkunden) richtig gemäss der Volkssprache als «Luterbrunnen» übersetzt.
Schauen wir von Lauterbrunnen hoch zu den Eisriesen, sehen wir das grösste Dorf im Tal. Bekannt unter dem Namen: Wengen.
Wengen ist das grösste Dorf im Lauterbrunnental und liegt auf 1274 Meter über Meer. Der Ortsname wurde erstmals in einem Kaufbrief aus dem Jahr 1268 als «auf dem Berge Wengen» erwähnt.
Peter Reber,
Schweizer Musiker, Sänger, Komponist und Verleger, über Wengen
Wengen ist die Pluralform von «Wang». Da denken wir doch gleich an unsere (besonders im Winter) roten Backen – in unserer Mundart ist bekanntlich der Ausdruck «Wangen» als Teil der Gesichtszüge noch erhalten geblieben.
In der Pluralform hat «Wang» den Ablaut angenommen. Mit anderen Worten wurde «a» in «e» umgewandelt. Daraus ist dann die Ableitung des Ortsnamens entstanden.
Die Bedeutung des Wortes ist auch in die Landschaftsbezeichnung übergegangen. «Wang» bezeichnet einen mehr oder weniger steilen Abhang.
Der Ortsname trat in den Urkunden meistens in der Form «uf Wengen» oder «uf dem Berg Wengen» auf. So liegt die Annahme natürlich nahe, dass die Namensgebung von Beobachtern in der Talsohle erfolgte. Aus dieser Perspektive trifft die Aussage «auf den Wengen» auch völlig zu.
Die höchste ständig bewohnte Siedlung des Kantons liegt auf 1650 Meter über Meer und trägt den Namen: Mürren.
Montem Murren (zum ersten Mal im Jahr 1257), Murron, Murn, Mürn, Murne, Myrrhen und Mürren.
«Spisse» leiten wir vom lateinischen Adjektiv «spissus, spissa, spissum» in der Bedeutung von «zusammengedrängt» ab. Mit anderen Worten ist Mürren ein räumlich scharf getrenntes Siedlungsgebiet.
Im Talgrund trägt ein Bach (Spissbach) unmittelbar auch diesen Namen.
Das Dorf liegt auf einer Mauerkrone auf der 700 bis 800 Meter hohen Fluh.
Der Name ist somit offensichtlich aus dem Lateinischen «murus» für Mauer abzuleiten.
Die Einflüsse der Walser sind in Mürren nicht zu verbergen. Auch in der Mundart sind zahlreiche Parallelen auszumachen.
George Lazenby,
auf die Frage, woran er sich beim Aufenthalt in Mürren am besten erinnern konnte
Der Namen ist ein Zeichen. Da hatte der römische Dichter natürlich recht. Wenn an Wengen, Mürren und Lauterbrunnen gedacht wird, kann das defnitiv behauptet werden – ohne rot zu werden.
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