Richten wir unseren Blick nach Nordeuropa zu unseren skandinavischen Freunden. Genauer gesagt: zu den Norwegern. Die erfinden gerade – Trommelwirbel – den Ski. Schlaue Kerle. Die Erfindung wird dem Ort Telemark zugeschrieben. Ist jetzt auch nicht gerade eine Provinz, die jedermann kennt. Muss aber ziemlich schön sein, dort oben.
Was könnte an diesem Ort wohl sonst noch erfunden worden sein? Hmm, schwierige Frage. Vielleicht der Telemark-Ski? Jackpot.
Skifahren als organisierte Sportart etabliert sich erst Mitte des 19. Jahrhunderts in Norwegen. Das altnordische Wort «Ski» bedeutet in etwa «gespaltenes Stück Holz».
In der Schweiz soll es neben dem Sommer neu auch eine zweite Jahreszeit geben. Was für eine Behauptung. «Winter» wird diese genannt. Die winterliche Bergsonne in der Höhe soll nämlich ganz schön angenehm sein – wird gemunkelt. Und diese weisse Masse, von den Einheimischen Schnee genannt, macht ziemlich Spass. Und natürlich die frische Luft und die gesundheitlichen Vorteile daraus… kurz gesagt: Der Wintersport nimmt Einzug im Oberland. Kein Engländer denkt mehr an die Riviera.
«Two seasons in Switzerland»: Das ist mal ein gewagter Titel. Dieses Buch erscheint 1895 in London. Die Engländer bevorzugen im Winter noch die sonnige Riviera. Doch dies wird sich schlagartig ändern.
Die Gäste finden sichtlich Gefallen an der winterlichen Landschaft in Grindelwald. Die neue Erfindung aus Norwegen sehen wir hier aber noch nirgends.
Der Bobsleight und Pferdeschlitten bringen noch weitere Abwechslung.
Der Eissport blüht auf. Kunstläufer aus aller Welt kommen in unsere Bergdörfer.
Rücksichtsvolle Schotten: Sie führen für Behäbige und Bejahrte das Spiel mit den Steinen ein. Curling am Fuss des Wetterhorns.
Überraschungsgeschenk! Der Ski kommt ins Berner Oberland.
Wir kommen einfach nicht aus unseren Dörfern raus. Doch dann trifft das Geschenk aus Norwegen ein. Der Ski kommt in unsere Region. Alles ändert sich. Ist es Magie oder Zauberei? Egal. Die Tür zur weiten und unberührten Landschaft wird mit einem Schlag geöffnet. Ein grossartiges Geschenk.
Natürlich ist der Entwicklungsweg von der Fassdaube mit den Schnüren bis zur Verstärkung des Holzes, der ausgeklügelten Bindung, dem passenden Schuhwerk und der zweckdienlichen Kleidung ziemlich lang. Darauf wollen wir aber nicht näher eingehen.
Der Direktor des Hotels Des Alpes zieht unbekümmert seine Kreise im Schnee. Ok, Kreise sind es nicht wirklich. Er macht seine ersten Steh-, Geh- und Fahrversuche. Schöner Zeitvertreib. Das Grinsen der Einheimischen ist nicht zu übersehen. Es sieht zwar lustig aus, doch diese Ski sind schon noch praktisch, um bei tiefem Schnee zu den abseits gelegenen Scheunen und Ställen zu gelangen. Die Bergführer und Träger haben sichtlich Freude daran.
Der Ski ist ein perfektes Hilfsmittel – mehr aber auch nicht. An Wintersport und an eine Wintersaison denkt nun wirklich niemand.
Tja, wie gehen wir eigentlich mit diesen hölzernen Dingern um? Hier kommt Sir Arnold Lunn (Mitte) ins Spiel. 1908 weilt Lunn praktischerweise gerade in Mürren.
Das können wir doch auch. Ja dann mal los. Eine Gruppe von Bergfreunden tourt mit den Skis über die Servinenfurgge ins Kiental hinüber – natürlich ohne Felle oder einer geeigneten Abfahrts- und Schwungtechnik. Das Resultat ist einstimmig: Die hölzernen Bretter können dem Touristen die Bergwelt nun auch im Winter zugänglich machen. Der Startschuss ist gefallen.
Sir Arnold Lunn,
über den Downhill-Skilauf
Die Angelsachsen sind nicht «amused» vom Sprung- und Langlauf wie auch vom Slalom. Abwarten. «Take it easy» und «downhill only». Diese Schlagwörter passen unseren englischen Gästen viel besser. Eine gemächliche Abfahrt mit möglichst leichtem Aufstieg ist hoch im Kurs. Auf Drängen von Lunn fährt im Winter 1910/11 die Mürrenbahn sogar das erste Mal durchgehend.
Sie ist eröffnet. Als erste Sportbahn im Berner Oberland: Die Allmendhubelbahn. Wenn wir schon eine Bahn haben, gründen wir doch auch noch gleich einen Skiclub.
Übrigens: Fans von 007 sollten diese Bobbahn wiedererkennen. Auch wenn sie selber nicht «Im Geheimdienst Ihrer Majestät» unterwegs sind.
Max D. Amstutz,
über die Anfänge des alpinen Skirennsports
Dieser Satz posiert auf einer Werbung in England. Hintergrund? Im Berner Oberland spriessen Skiclubs aus dem Schnee. Die Entwicklung des Skisports wird vehement nach vorne getrieben. Vor allem von den Skiclubs Mürren, Wengen und Scheidegg.
Parallel mit der Breitenentwicklung des Skisports kommen auch die Wettkämpfe auf – und dies viel bedeutungsvoller als in den zwei noch eine Rolle spielenden Wintersportarten: Eislauf und Curling.
Durch die Gründung der Schweizerischen Skischule im Jahr 1932 wird Ordnung in die Lehr- und Lerntätigkeit gebracht.
Ein Kletterunfall schränkt Lunn sportlich ein. Resultat: Untauglich für den Militärdienst. Er wird nach Mürren beordert. Hätte ihn definitiv schlechter treffen können. Er betreut dort kranke und verletzte britische Soldaten und Offiziere. Ebenso unterhält er die Internierten mit Skikursen und Wettbewerben. Zum grossen Glück für Mürren - der Skisport erfährt einen riesen Aufschwung.
Walter Amstutz erlernt dank den Briten das Skifahren und wird ein enger Freund von Sir Arnold Lunn.
Lunn und Amstutz kämpfen gemeinsam für die Anerkennung von Abfahrt und neu auch Slalom. 1920 erreicht Lunn, dass beide Disziplinen bei den britischen Skimeisterschaften eingeführt werden. Wie auf dem Bild erkennbar macht Lunn auch als Torrichter eine gute Figur.
Besonders sei hier auf die strengen Kleiderregelungen hingewiesen. Fesche Mode.
Farbig. Knallig. Bunt. Die Kleider von heute. Da hat sich ziemlich etwas geändert. Das Smartphone darf natürlich auch nicht fehlen.
Lunn und Amstutz entwerfen leidenschaftlich Visionen und Pläne, wie das Skifahren zum Rennsport entwickelt werden kann. Ihre Anstrengungen tragen Früchte: Die erste kombinierte britische Meisterschaft findet 1921 am Lauberhorn statt. Ja genau, heute ist diese Abfahrt als Lauberhornabfahrt international bekannt. Ein ganzer Rattenschwanz von kleineren Wettkämpfen wie auch internationalen und nationalen Wettkämpfen werden in der Zwischenkriegszeit in Mürren ausgetragen. Der alpine Skisport erlebt einen Durchbruch.
Ein Rennen gilt es hier besonders hervorzuheben: Das Inferno-Rennen. Vier Stunden Aufstieg und ein Massenstart mit vier Frauen und 13 Männern prägt die erste Ausgabe. Dieses Rennen soll sich in Zukunft noch ziemlich weiterentwickeln.
Keine Frage. Die Skirennen tragen mächtig zur Entwicklung des Skisportes bei. Sie sind aber am Ende des Tages auch nur ein Mittel zum Zweck. Die Menge wendet sich nämlich von den viel zu vielen Rennen ab. Ergo werden diese wieder langsam abgebaut.
Mission erfüllt. Sir Arnold Lunn steht auf seinem Höhepunkt. Die FIS akzeptiert 1930 Abfahrt und Slalom als neue Disziplin.
Bravo. Auf das Bedürfnis der Gäste wird eingegangen. Neben den gewöhnlichen Auffahrtsmöglichkeiten entstehen schnurstracks Funis, Skilifte und Sesselbahnen. «Die Wiege des Schneesports» geht in die Zukunft - dank Sir Arnold Lunn.
Fotos: Jungfrau Region; Die Anfänge des alpinen Schneesports
Story: André Wellig
Winter 2018